"Ich bin nur noch eine Ähnlichkeit (Und das erinnert mich wiederum an die Fotografie)"
Eva Dittrichs transmediale Bestandsaufnahmen
„Ohne Tod kein Foto.“ Dieser Satz findet sich in den ersten Absätzen von Eva Dittrichs theoretischer Diplomarbeit, die ihre Installation „Stabilität, geringes Sinken“ (2018) begleitet und kontextualisiert. In dem eindringlichen Text stellt Dittrich Bezüge her zwischen der Fotografie, dem Vergehen der Zeit, dem Unwiederbringlichen, Sterben, Trauer und Erinnerung, und untersucht damit verbundene Gefühle von Scham und Schuld. In seinem fragmentarischen und assoziativen Stil ist es weniger ein klassischer Theorietext, wie man ihn im Rahmen einer Hochschulprüfung erwarten würde, als vielmehr ein autobiografisch gespeister literarischer Essay mit eingewobenen Theoriereferenzen – die sowohl aus der Fotografietheorie als auch aus der Soziologie stammen. Annie Ernaux’s und Didier Eribon’s literarische Reflexion von Sozialgeschichte und Scham regte Dittrich an, über die gesellschaftliche Bedeutung von persönlicher Erinnerung und Verlusterfahrung zu schreiben. In erster Linie aber bezieht sich der Essay auf Roland Barthes Die helle Kammer Tagebuch der Trauer, aber auch auf dessen Tagebuch der Trauer Die helle Kammer, über dessen Umweg Dittrich, ausgehend von der eigenen Trauerarbeit, zurück zum Nachdenken über Fotografie kam. Der Text übte beim Lesen eine Sogwirkung auf mich aus, zog mich in den Bann, weil er so offensichtlich nah an der Erfahrung der Autorin ist und einem selbst nah geht, aber vor allem weil er so exzellent geschrieben ist, konzentriert, beobachtend, analytisch und gleichzeitig voller Anteilnahme und Wärme.
Nachdem sich Eva Dittrich im Laufe ihres Kunststudiums vom Medium der Fotografie entfernt und überwiegend installativ gearbeitet hatte, gelangte sie im Zuge ihrer Diplomarbeit zur Fotografie zurück – über das Medium der Sprache. Das Kanonische an Roland Barthes „Die helle Kammer“ hatte sie während ihres Studium davon abgehalten das Buch zu lesen, Diese Weigerung, den Kanon ungebrochen aufzunehmen, spiegelt sich in einer frühen konzeptuellen Arbeit Dittrichs wider, der Publikation „Monografie“, die aus einer Sequenz fotografischer Reproduktionen unterschiedlicher leerer Buchseiten besteht. Es sind jeweils die letzten Seiten von Fotobänden aus der Bibliothek der Kunsthochschule. die Dittrich im Laufe ihres Grundstudiums ausgeliehen hatte. Die Publikation ist die Materialisierung der Erinnerung dieser Lektüren. Auf die leeren Seiten ließen sich die betrachteten Bilder aus der Erinnerung projizieren wie Nachbilder – wobei jede Leserin andere Bilder sehen wird, je nachdem welche Bilder sich ins individuelle Gedächtnis eingeprägt haben.
Das Thema der Erinnerung in und durch die Fotografie wird auch in Dittrichs s/w Fotoserie „Offener Stapel (Open Stack) “ sichtbar, besteht aus fotografischen Collagen, Assemblagen, Überlagerungen, die sich aus unterschiedlichen Schichtungen eines persönlichen Text- und Bildarchivs ergeben. Sie sind Zeugen eines Prozesses der Reflexion, Reorganisation, Rekapitulation – sich selbst in der Verbundenheit mit den Bildern wahrzunehmen.
Mit der Serie in Verbindung steht die Diaprojektion „Schnappschüsse (Snapshots)“, die Ausschnitte aus Dittrichs theoretischer Diplomarbeit in zufälliger Reihenfolge an die Wand wirft. Das Klicken des Diaprojektors verweist auf das Aufklappen des Spiegels der Fotokamera und betont so auch das Fragmentieren des Textes durch den Bildausschnitt. Die Texte werden zu Schnappschüssen – beim Schreiben hat Dittrich die Kamera auf ihr eigenes Innerstes gerichtet und so eine eigene Art von Bildkonstruktion geschaffen, die über das Medium der Sprache funktioniert. In Dittrichs eigenen Worten: „arbeite [ich] mich Schritt für Schritt vom Wort zum Bild hin zurück und aus mir selbst heraus. Die Suche nach einem Weg vom Schnappschuss nach Innen in die Perspektive einer Allgemeinheit.“
Dittrichs Rauminstallation „Stabilität, geringes Sinken“ versammelt mehrteilige Werkgruppen die auf teils ungewohnte Weise im Raum arrangiert werden; Für die Ausstellung wählte Dittrich einen klassischen White Cube aus, ohne Fenster, mit hohen Wänden und einer abgeteilten Empore die einen Blick von oben in den Hauptraum ermöglicht, was die Künstlerin für ein Experiment mit der Blickführung nutzte: Im unteren Raum platzierte sie bedruckte Stoffbahnen, die wie Teppiche oder Matten leicht verschoben und überlappend am Boden drapiert wurden und einen unklaren Objektstaus besaßen – handelte es sich um eine Skulptur oder eine auf Trägermaterial gedruckte Bildserie? Erst von der Empore aus, aus der Ferne und neuen Perspektive gesehen ließ sich das auf den Stoff gedruckte, fragmentierte Bild eines Bergpanoramas erkennen. Betrachtete man anschließend den Druck erneut aus nächster Distanz ließen sich Bildschirmpixel erkennen – die vermeintliche Naturaufnahme war ein Bild vom Bild, offensichtlich abfotografiert von einem Screen. Bei dem Stoff wiederum handelte es sich um eine Textilart, die üblicherweise für die Herstellung von Gleitschirmen verwendet wird. Der „Schirm“ wird hier zugleich in seiner Bedeutung als gleitende Fläche und als Bilddisplay adressiert. Das liegende Bergpanorama wird durch die Inszenierung als abstrakte Fläche“ wahrgenommen, die erst durch den Perspektivwechsel lesbar wird.
Das Gleitschirm-Textil ist Teil einer Installation mit dem Titel „Zoom“, zu der auch ein C-Print gehört.Die Fotografie zeigt das Bergmassiv von der gegenüberliegenden Skisprungschanze, d.h. aus derselben Blickrichtung aufgenommen wie der Screenshot, mit dem Unterschied dass es sich hierbei um analoges Material handelt – zudem Filmmaterial, dass bereits sein Verfallsdatum überschritten hat bzw. abgelaufen ist, wodurch sich die Farbverschiebung und Aufspaltung des Bildes in seine Farbschichten ergeben. Wie bei der Reproduktion des Bildschirmfotos werden Farbschichten freigelegt, in diesem Fall bedingt durch die chemische Prozesse des analogen Filmmaterials – hier analog, dort digital.
Dittrichs Arbeiten sind grundsätzlich „transmedial“, sie befragen die Grenzen des Mediums Fotografie: Sie dehnen, strecken, zerren das fotografische Bild. Die „stillstehenden“ fotografischen Bilder stehen auch für die Zeit, für das Unwiederbringliche. Der Ausstellungstitel „Stabilität, geringes Sinken“ bezieht sich neben dem Gleitschirmfliegen auch aufs Skispringen, das Dittrich auf einer Reise nach Innsbruck als Motiv entdeckt hat. In ihrer Arbeit wird der Moment der Schwebe im Sprung zur Metapher für die Fotografie: „Der Fall, der Sprung, der Flug () – simple und treffende Art das Vergehen von Zeit zu erzählen. – Die Schwerkraft wirkt sich aus. – Fotografie kann die Zeit dehnen, Momente strecken, anders sichtbar und erfahrbar machen.“
Teil der Rauminstallation „Stabilität, geringes Sinken“ ist auch ein Skisprunganzug, „OT (Personalisierter Skisprunganzug)“ der in einer Transportkiste liegt. Er ist auf den Körper der Künstlerin zugeschnitten und nimmt die Umgebungsfarbe auf – in diesem Fall ein helles Rosa, was ihn als zweite Haut der Künstlerin erscheinen lässt.
Eine Filmsequenz zeigt Dittrich beim Fotografieren in Innsbruck – ein lokales Fernsehteam hatte für einen Bericht über die Ausstellung im Stadtforum Innsbruck, an der Dittrich beteiligt war, die Künstlerin im Vorfeld bei der Arbeit porträtiert. Das filmische Material, eine Sicht von Aussen auf die Künstlerin, die eine weitläufige Vorstellung fotografischer Praxis performt, macht sich Dittrich wieder zu eigen und schneidet mehrere Sequenzen zu einem Loop, der eben diese Klischeevostellungen hervorhebt. Diese zeigt Dittrich nun zusammen mit ihren Arbeiten die gerade nicht in ein solches Repräsentationssschema passen – die zurückgenommen sind, leise sprechen, Raum lassen, ausblenden, weglassen.
aus dem Einzelkatalog "Material" 2019
Veröffentlichung im Rahmen von "HYDRA-Goldrausch 2019"
Von Anna Voswinckel
"Ich bin nur noch eine Ähnlichkeit (Und das erinnert mich wiederum an die Fotografie)"
Eva Dittrichs transmediale Bestandsaufnahmen
„Ohne Tod kein Foto.“ Dieser Satz findet sich in den ersten Absätzen von Eva Dittrichs theoretischer Diplomarbeit, die ihre Installation „Stabilität, geringes Sinken“ (2018) begleitet und kontextualisiert. In dem eindringlichen Text stellt Dittrich Bezüge her zwischen der Fotografie, dem Vergehen der Zeit, dem Unwiederbringlichen, Sterben, Trauer und Erinnerung, und untersucht damit verbundene Gefühle von Scham und Schuld. In seinem fragmentarischen und assoziativen Stil ist es weniger ein klassischer Theorietext, wie man ihn im Rahmen einer Hochschulprüfung erwarten würde, als vielmehr ein autobiografisch gespeister literarischer Essay mit eingewobenen Theoriereferenzen – die sowohl aus der Fotografietheorie als auch aus der Soziologie stammen. Annie Ernaux’s und Didier Eribon’s literarische Reflexion von Sozialgeschichte und Scham regte Dittrich an, über die gesellschaftliche Bedeutung von persönlicher Erinnerung und Verlusterfahrung zu schreiben. In erster Linie aber bezieht sich der Essay auf Roland Barthes Die helle Kammer Tagebuch der Trauer, aber auch auf dessen Tagebuch der Trauer Die helle Kammer, über dessen Umweg Dittrich, ausgehend von der eigenen Trauerarbeit, zurück zum Nachdenken über Fotografie kam. Der Text übte beim Lesen eine Sogwirkung auf mich aus, zog mich in den Bann, weil er so offensichtlich nah an der Erfahrung der Autorin ist und einem selbst nah geht, aber vor allem weil er so exzellent geschrieben ist, konzentriert, beobachtend, analytisch und gleichzeitig voller Anteilnahme und Wärme.
Nachdem sich Eva Dittrich im Laufe ihres Kunststudiums vom Medium der Fotografie entfernt und überwiegend installativ gearbeitet hatte, gelangte sie im Zuge ihrer Diplomarbeit zur Fotografie zurück – über das Medium der Sprache. Das Kanonische an Roland Barthes „Die helle Kammer“ hatte sie während ihres Studium davon abgehalten das Buch zu lesen, Diese Weigerung, den Kanon ungebrochen aufzunehmen, spiegelt sich in einer frühen konzeptuellen Arbeit Dittrichs wider, der Publikation „Monografie“, die aus einer Sequenz fotografischer Reproduktionen unterschiedlicher leerer Buchseiten besteht. Es sind jeweils die letzten Seiten von Fotobänden aus der Bibliothek der Kunsthochschule. die Dittrich im Laufe ihres Grundstudiums ausgeliehen hatte. Die Publikation ist die Materialisierung der Erinnerung dieser Lektüren. Auf die leeren Seiten ließen sich die betrachteten Bilder aus der Erinnerung projizieren wie Nachbilder – wobei jede Leserin andere Bilder sehen wird, je nachdem welche Bilder sich ins individuelle Gedächtnis eingeprägt haben.
Das Thema der Erinnerung in und durch die Fotografie wird auch in Dittrichs s/w Fotoserie „Offener Stapel (Open Stack) “ sichtbar, besteht aus fotografischen Collagen, Assemblagen, Überlagerungen, die sich aus unterschiedlichen Schichtungen eines persönlichen Text- und Bildarchivs ergeben. Sie sind Zeugen eines Prozesses der Reflexion, Reorganisation, Rekapitulation – sich selbst in der Verbundenheit mit den Bildern wahrzunehmen.
Mit der Serie in Verbindung steht die Diaprojektion „Schnappschüsse (Snapshots)“, die Ausschnitte aus Dittrichs theoretischer Diplomarbeit in zufälliger Reihenfolge an die Wand wirft. Das Klicken des Diaprojektors verweist auf das Aufklappen des Spiegels der Fotokamera und betont so auch das Fragmentieren des Textes durch den Bildausschnitt. Die Texte werden zu Schnappschüssen – beim Schreiben hat Dittrich die Kamera auf ihr eigenes Innerstes gerichtet und so eine eigene Art von Bildkonstruktion geschaffen, die über das Medium der Sprache funktioniert. In Dittrichs eigenen Worten: „arbeite [ich] mich Schritt für Schritt vom Wort zum Bild hin zurück und aus mir selbst heraus. Die Suche nach einem Weg vom Schnappschuss nach Innen in die Perspektive einer Allgemeinheit.“
Dittrichs Rauminstallation „Stabilität, geringes Sinken“ versammelt mehrteilige Werkgruppen die auf teils ungewohnte Weise im Raum arrangiert werden; Für die Ausstellung wählte Dittrich einen klassischen White Cube aus, ohne Fenster, mit hohen Wänden und einer abgeteilten Empore die einen Blick von oben in den Hauptraum ermöglicht, was die Künstlerin für ein Experiment mit der Blickführung nutzte: Im unteren Raum platzierte sie bedruckte Stoffbahnen, die wie Teppiche oder Matten leicht verschoben und überlappend am Boden drapiert wurden und einen unklaren Objektstaus besaßen – handelte es sich um eine Skulptur oder eine auf Trägermaterial gedruckte Bildserie? Erst von der Empore aus, aus der Ferne und neuen Perspektive gesehen ließ sich das auf den Stoff gedruckte, fragmentierte Bild eines Bergpanoramas erkennen. Betrachtete man anschließend den Druck erneut aus nächster Distanz ließen sich Bildschirmpixel erkennen – die vermeintliche Naturaufnahme war ein Bild vom Bild, offensichtlich abfotografiert von einem Screen. Bei dem Stoff wiederum handelte es sich um eine Textilart, die üblicherweise für die Herstellung von Gleitschirmen verwendet wird. Der „Schirm“ wird hier zugleich in seiner Bedeutung als gleitende Fläche und als Bilddisplay adressiert. Das liegende Bergpanorama wird durch die Inszenierung als abstrakte Fläche“ wahrgenommen, die erst durch den Perspektivwechsel lesbar wird.
Das Gleitschirm-Textil ist Teil einer Installation mit dem Titel „Zoom“, zu der auch ein C-Print gehört.Die Fotografie zeigt das Bergmassiv von der gegenüberliegenden Skisprungschanze, d.h. aus derselben Blickrichtung aufgenommen wie der Screenshot, mit dem Unterschied dass es sich hierbei um analoges Material handelt – zudem Filmmaterial, dass bereits sein Verfallsdatum überschritten hat bzw. abgelaufen ist, wodurch sich die Farbverschiebung und Aufspaltung des Bildes in seine Farbschichten ergeben. Wie bei der Reproduktion des Bildschirmfotos werden Farbschichten freigelegt, in diesem Fall bedingt durch die chemische Prozesse des analogen Filmmaterials – hier analog, dort digital.
Dittrichs Arbeiten sind grundsätzlich „transmedial“, sie befragen die Grenzen des Mediums Fotografie: Sie dehnen, strecken, zerren das fotografische Bild. Die „stillstehenden“ fotografischen Bilder stehen auch für die Zeit, für das Unwiederbringliche. Der Ausstellungstitel „Stabilität, geringes Sinken“ bezieht sich neben dem Gleitschirmfliegen auch aufs Skispringen, das Dittrich auf einer Reise nach Innsbruck als Motiv entdeckt hat. In ihrer Arbeit wird der Moment der Schwebe im Sprung zur Metapher für die Fotografie: „Der Fall, der Sprung, der Flug () – simple und treffende Art das Vergehen von Zeit zu erzählen. – Die Schwerkraft wirkt sich aus. – Fotografie kann die Zeit dehnen, Momente strecken, anders sichtbar und erfahrbar machen.“
Teil der Rauminstallation „Stabilität, geringes Sinken“ ist auch ein Skisprunganzug, „OT (Personalisierter Skisprunganzug)“ der in einer Transportkiste liegt. Er ist auf den Körper der Künstlerin zugeschnitten und nimmt die Umgebungsfarbe auf – in diesem Fall ein helles Rosa, was ihn als zweite Haut der Künstlerin erscheinen lässt.
Eine Filmsequenz zeigt Dittrich beim Fotografieren in Innsbruck – ein lokales Fernsehteam hatte für einen Bericht über die Ausstellung im Stadtforum Innsbruck, an der Dittrich beteiligt war, die Künstlerin im Vorfeld bei der Arbeit porträtiert. Das filmische Material, eine Sicht von Aussen auf die Künstlerin, die eine weitläufige Vorstellung fotografischer Praxis performt, macht sich Dittrich wieder zu eigen und schneidet mehrere Sequenzen zu einem Loop, der eben diese Klischeevostellungen hervorhebt. Diese zeigt Dittrich nun zusammen mit ihren Arbeiten die gerade nicht in ein solches Repräsentationssschema passen – die zurückgenommen sind, leise sprechen, Raum lassen, ausblenden, weglassen.
aus dem Einzelkatalog "Material" 2019
Veröffentlichung im Rahmen von "HYDRA-Goldrausch 2019"
Von Anna Voswinckel