Formen der Durchlässigkeit
Wenn zuvor davon die Rede war, dass die Künstler_innen dieses Projekts mit in der Stadt aufgefundenen Details oder Umgebungsdetails arbeiten, so muss man mit Sicht auf die Arbeit von Eva Dittrich sagen, dass diese Künstlerin ein strukturbestimmendes Merkmal der Stadt fotografisch aufnimmt, das weniger als Detail zu verstehen ist, sondern mehr durch seine gewaltige Erscheinung besticht: das Bergmassiv der Nordkette, über den städtischen Friedhof hinweg aufgenommen vom Fuß der Bergiselschanze. In mehreren Bildern zu einer Panoramaansicht zusammengefügt, hat sich Dittrich entschieden, die Gebirgskette auf eine Textilie mit ausladenden Maßen zu printen. Mit der Art der Ausarbeitung jedoch testet Dittrich die Grenzen der Wahrnehmung – und unterläuft so stereotype Sichten auf die Stadt: Durch die Entscheidung für das überdimensionale Format löst sich die bildliche Darstellung in ihre Pixel auf. Die Ansicht changiert so zwischen Abstraktion und Konkretion, je nachdem, welchen Betrachterstandpunkt wir einnehmen. Treten wir näher an das Bild heran, besticht das Material – ein Stoff, der zur Verarbeitung von Gleitschirmen verwendet wird und so die für Innsbruck wichtige Sportindustrie zitiert – durch irisierende Effekte, die durch die Transparenz des Stoffes unterstrichen wird. Nehmen wir Abstand zum Bild, so fügen sich die Farbräume zu einem Bild zusammen, mit dem das Bergmassiv vage erkennbar wird.
Dittrichs Beitrag zur Ausstellung ist insgesamt ihrer autobiographischen Spurensuche in diesem Gebiet geschuldet: Ausgestattet mit der Kamera ihres Vaters, der selbst in Innsbruck fotografierend unterwegs war, begegnete ihr ein Bild, mit dem sich eine Verbindung ergibt. Es ist eine Fotografie, die zufällig zweimal entstanden ist und eben jenen Blick von der Bergisel-Schanze auf den Friedhof Innsbrucks zeigt und die Sicht auf die Nordkette freigibt. Biographische Momente von Vater und Tochter überschneiden sich in diesem Bild, das die Künstlerin (u.a.) zusätzlich zur halbtransparenten Textilie mit in die Ausstellung aufgenommen hat – zumal vor dem Hintergrund, dass Dittrich Material aus dem Archiv ihres Vater für diese Aufnahme verwendete, einen abgelaufenen Dia-Film. Die Künstlerin hat den Film (unbeabsichtigt) beschädigt, sodass sich das Bild in seine Farbschichten aufspaltet und einer gewohnten Ausarbeitung verschließt. Dieser Moment stellte sich für die Künstlerin als Möglichkeit heraus eine Erinnerung an ein altes Material zu erzeugen, das heute kaum noch Verwendung findet, aber Effekte zeitigt, die für jenes Material einzigartig sind.Genauso kann es vielleicht als eine Form der Erinnerung an die Arbeitsweisen des Vater verstanden werden, die sie in ihrer eigenen Praxis hier, an diesem Ort, ganz bewusst aufgenommen hat. Aber das Bild macht noch mehr: Es kann als eine durchlässige Spur gelesen werden, die zwischen der eigenen und der Bild-Geschichte und -Gegenwart vermittelt. So erhält auch das Textil jenseits seiner formal-aufregenden Ausarbeitung und seiner raumgreifenden Präsenz eine zusätzliche inhaltliche Dimension: als Vermittlungsinstanz zwischen den Bildern von einst und heute.
Auszug aus dem Ausstellungskatalog „Innsitu“ Oktober 2018
Von Maren Lübbke-Tidow
Kunsthistorikerin, Kritikerin, Kuratorin, Politologin.